Spätestens die Corona-Pandemie hat das Homeoffice salonfähig gemacht. Aus einer reinen Notwendigkeit, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, war mehr Flexibilität gefordert, die unbestritten eine Reihe Vorteile bringt, von wegfallenden Pendelstrecken bis zu Kostenersparnissen im Büro.
Arbeit von Zuhause und Autonomie klingt verlockend, doch inzwischen mehren sich die Hinweise, dass langfristige Remote-Arbeit im Homeoffice eine Belastung sein kann und mit Depressionen und Angststörungen korreliert. Der Überblick über verfügbare Forschungsergebnisse zeigt: Es gibt nachweisbare Risikofaktoren, die psychische Erkrankungen fördern können. Einsamkeit und Depressionen beginnen dort, wo der persönliche Kontakt zu Kollegen und Kunden fehlt.
Fehlende soziale und zwischenmenschliche Kontakte. Einsamkeit im Homeoffice und psychische Gesundheit.
Eine der prominentesten Folgen von Homeoffice ist die Reduzierung direkter sozialer Interaktionen. Die American Psychological Association (APA)* bestätigte schon 2019 generell in Bezug auf soziale Isolation und Einsamkeit, dass dies ein Risikofaktor für depressive Störungen und Ängste darstellt.
Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, verlieren spontane Gespräche in Pausen, informelle Treffen mit Kollegen und die regelmäßige physische Präsenz in Gruppen. Sie sind zunächst einmal auf sich selbst zurückgeworfen. Nicht jedem tut freie Selbstbestimmung gut.
Oftmals nur als Zeitverschwendung angesehen, wird der psychologische Wert solcher Interaktionen gerne übersehen. Was soll man sich auch über das Wetter oder die Weltlage austauschen, wenn es für das Unternehmensergebnis nichts bringt. Dabei ist der Kontext des Zwischenmenschlichen zur Vermeidung einer Depression oder anderer psychischer Störung extrem wichtig, wenn nicht sogar entscheidend.
Homeoffice-Mitarbeiter erleben signifikant weniger soziale Interaktionen als ihre im Büro arbeitenden Kollegen. Sowohl introvertierte als auch extrovertierte Mitarbeiter empfinden das als Belastung.
Video-Konferenzen können persönliche Kontakte einfach nicht ersetzen, da sie nonverbale Kommunikationsmuster und spontanen Austausch einschränken. Die wichtigen zwischenmenschlichen Stimmungen, körperliche Signale, Stimmungsbeurteilungen usw. kommen nicht mehr im erforderlichen Maßstab zur Geltung.
Die Forschung deutet darauf hin und es ist nur logisch, dass die Qualität virtueller Kontakte geringer ausfällt als die von Face-to-Face-Begegnungen, was sich negativ auf das Wohlbefinden auswirkt.
Verschwimmende Grenzen zwischen Beruf und Privatleben
Im Homeoffice verschwimmen nicht nur räumliche Grenzen zwischen Arbeitsbereich und Wohnraum. Es kommt oft zu einer psychologischen Vermischung von Berufsidentität und privatem Selbst. Die klare Tagesstruktur verschwimmt.
Die Folge: Der Arbeitsschalter lässt sich nicht beliebig und einfach ein- und ausschalten. Das kann sich in zwei Richtungen auswirken, unkontrollierter Arbeitszuwachs in Form von Überstunden oder das genaue Gegenteil: Entfremdung und Minimalismus in Bezug auf die Arbeit.
Homeoffice-Mitarbeiter arbeiten im Zweifel länger als Büro-Arbeitnehmer. Mobiles Arbeiten fördert ständige Verfügbarkeit und das Verschwinden klarer Arbeitszeiten führen zu erhöhtem Stresspegel und emotionaler Erschöpfung – beide sind Vorstufen depressiver Störungen. Die mangelnde psychologische Abgrenzung ermöglicht es dem Gehirn nicht, während der Ruhezeiten vollständig abzuschalten.
Mal ehrlich, können Sie sich immer konsequent selbst regulieren und nach 18 Uhr alles berufliche hinter sich lassen? Sorgen Sie dafür, feste Zeiten und Pausen einzuhalten? Pflegen Sie aktiv nach einem anstrengenden Arbeitstag soziale Kontakte? Wie sieht es aus mit ständiger Erreichbarkeit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Nicht zu vergessen auch, die Ansprüche der Familie und Freunde, die zu kurz kommen, wenn man nie zu 100% bei ihnen ist und der Weg zur Firma in der Hosentasche steckt in Form eines Telefons mit E-Mail-Postfach. Die räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben ist oft nicht vorhanden.
Die oft gehasste Führung ist im Homeoffice genauso notwendig
Wer will sich schon kontrollieren lassen? Machen wir uns nichts vor, der Mensch sucht immer nach Wegen, schneller oder einfacher voranzukommen. Vielleicht ist es auch nur normal, wenn Unternehmen vermuten, dass die Arbeit im Homeoffice die Produktivität leiden lässt.
Diverse Unternehmen verpflichten auch deshalb inzwischen ihre Mitarbeiter wieder, ins Büro zu kommen. Das ist jetzt aber schwierig, da sich alle an das Homeoffice gewöhnt haben und ein unausgesprochener Verdacht im Raum steht.
Die Frage, wieviel Vertrauen Vorgesetzte aufbringen und wieviel Kontrolle nötig ist, lässt sich generell nicht umgehen. Erfolgreiche Firmen machen sich hier Gedanken.
Im Homeoffice ist mehr Eigenverantwortung gefordert.
Es braucht klare Strukturen und klar strukturierte Führungskräfte, die in der Lage sind, menschliches von fachlichem zu trennen und empathisch aufzutreten.
Vielleicht braucht es sogar spezielle Klima-Manager, die nur für die menschliche Seite im Berufsalltag zuständig sind.
Eine Hauptfunktion der Führung ist gerade eben der Kontakt zwischen zwei oder mehreren Menschen.
Das „Im Kontakt sein“ ist eine gute Vorbeugung gegen Depressionen im Homeoffice. Da man nicht mehr einfach in ein Besprechungszimmer gehen oder analog ein Büro betreten kann, um Dinge auf dem kurzen Weg zu klären und sich auch einmal nur von Frust zu befreien, muss die soziale Hygiene auf anderem Weg geschehen. Zusammenarbeit ist mehr als Termine zu vereinbaren und Aufgaben abzuarbeiten.
Bewegungsmangel und körperliche Inaktivität
Ein bisher unterschätzter Faktor ist die Auswirkung von Bewegungsmangel auf die mentale Gesundheit. Im Homeoffice entfallen typische Aktivitäten wie der Arbeitsweg, das Gehen durch Bürogebäude oder informelle Bewegungspausen. Das ist ein Risikofaktor für psychische Krankheiten wie Depressionen.
Forschungen in Norwegen* belegen eine bidirektionale Beziehung zwischen körperlicher Inaktivität und Erkrankungen wie einer Depression. Diese besteht sogar schon bei jungen Menschen. Mangelnde Bewegung erhöht das Depressionsrisiko, gleichzeitig führt Depression zu weiterer Inaktivität. Ein Teufelskreis.
Das gilt nicht nur für Menschen im Homeoffice, sondern generell bei Bewegungsmangel.
Die Universität Toronto* sagt, dass schon 20 Minuten Bewegung täglich ein deutlich niedrigeres Depressionsrisiko zur Folge haben.
Homeoffice-Arbeitnehmer unterschreiten diese Schwelle häufiger, einfach weil schon kein Anfang in der körperlichen Bewegung des Tages gemacht wurde, indem man aufsteht, das Haus verlässt und ins Büro pendelt.
Überforderung und Depression im Home-Office. Wie technische Herausforderungen dazu beitragen
Digitale Kommunikationsmittel im Homeoffice schaffen ein Phänomen der Dauererreichbarkeit. Push-Benachrichtigungen, E-Mail-Fluten und die Erwartung permanenter Verfügbarkeit erzeugen chronischen Stress.
Viele Homeoffice-Mitarbeiter in Deutschland geben an, nach Arbeitsende häufig noch arbeitsbezogene Nachrichten zu erhalten. Die ständige Stimulation durch technische Geräte wirkt sich auf die Schlafqualität aus – und Schlafstörungen sind ein etablierter Risikofaktor für depressive Störungen.
Denken Sie aber auch an technische Hürden und die immer weiter geforderte Flexibilität. Man denke nur an hängende Streams, lahme Computer. Kaum ein Mitarbeiter wird auch sagen: Ich kann das nicht, ich weiß nicht wie das geht. Vielleicht braucht es Schulung, für die aber die Zeit fehlt.
Gerade für die Älteren unter uns kann die Technik eine Qual sein. Was im Büro nicht auffällt, weil man sich Hilfe holen kann, ist plötzlich eine unüberwindbare Hürde, kostet Zeit und nerven.
Wer sich technisch abgehängt fühlt, hat ein Risiko für depressive Verstimmungen.
Psychologische Auswirkungen: Studienergebnisse und Umfragen
Der Spiegel schrieb*, dass die Depressionsrate unter Homeoffice-Mitarbeitern um etwa 33 Prozent über dem Durchschnitt liegt und beruft sich dabei auf Umfragen unter mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Es fehlt der Umgang mit den Kollegen. Besonders betroffen sind außerdem Menschen, die alleine leben oder außerhalb der Arbeit keine stabilen sozialen Netzwerke haben.
Risikogruppen und vulnerable Personen im Home Office
Nicht alle Menschen sind gleichermaßen anfällig für depressive Störungen im Homeoffice.
Risikogruppen sind identifizierbar:
Alleinstehende Personen, besonders ältere Arbeitnehmer ab 50 Jahren, berichten überproportional häufig von depressiven Symptomen. Menschen mit diagnostizierter sozialer Phobie oder vorbestehenden psychischen Erkrankungen zeigen häufiger Verschlimmerungen. Eltern, insbesondere alleinerziehende, berichten von erhöhtem Stress durch die Kombination von Betreuungsaufgaben und Homeoffice-Anforderungen.
Prävention, Gegenmaßnahmen und Bewältigungsstrategien. Was können Unternehmen tun?
Dass die mentale Gesundheit der Mitarbeiter beachtet werden muss, sollte erkannt sein.
Die bloße Erkenntnis, dass Homeoffice Depressionen fördern kann, führt zu praktischen Empfehlungen:
- Regelmäßige Präsenzzeiten im Büro (Hybrid-Modelle) haben sich als protektiv erwiesen. Die Stanford University fand heraus*, dass zwei Tage pro Woche im Homeoffice und sonst im Büro die Isolationseffekte signifikant reduzieren und sogar die Arbeitszufriedenheit erhöhen. Persönlicher Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen hilft.
- Strukturierte Bewegungspausen und bewusste Ablenkung – bereits 15 Minuten tägliche moderate Aktivität wirken präventiv. Das Unternehmen sollte aktiv dazu anregen.
- Die Festlegung klarer Arbeitsende-Zeiten sind weitere evidenzbasierte Strategien. Arbeit und Privatleben sollten klar getrennt sein. Manche Unternehmen unterbinden bereits am Abend den E-Mail-Zugriff.
- Regelmäßige Sozialaktivitäten und Bewegung sind präventive Maßnahmen, die aus wissenschaftlicher Perspektive begründet sind. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten diese Erkenntnisse bei der Gestaltung von Arbeitsarrangements berücksichtigen. Stichwort: Work-Life-Balance.
- Im Idealfall richten Sie eine Stelle ein (eine Art Klima-Manager), die den menschlichen Kontakt zu den Home-Workern aufrechterhält, der im Arbeitsalltag sonst zu kurz kommt. Dies sollte unabhängig von den fachlichen Arbeitskontakten erfolgen. Das Gefühl, dass man als Angestellter nur gehört wird, solange man abliefert, führt nur zu Frustration, dem Erleben von Sinnlosigkeit und dem Eindruck der Missachtung der eigenen Persönlichkeit. Das bereitet Depressionen definitiv einen Weg.
Natürlich ist das auch eine Frage der Kosten, aber wir sind überzeugt, dass der Benefit größer als der Aufwand ist. Mittelständige Unternehmen und insbesondere Großunternehmen mit ihrer höheren Anonymität sollten sich auf jeden Fall um das seelische Wohlbefinden der Angestellten kümmern. Fitnessstudio und Billardraum hin oder her. Alleine ist das nichts. Wenn der menschliche, zwanglose Kontakt nicht passt, entstehen Probleme. Kümmern Sie sich also darum.
Nicht zuletzt wirkt ein Engagement in diesem Bereich auch dem Burnout entgegen.
Verweise
- Soziale Isolation als Risikofaktor für Depressionen (APA): https://www.apa.org/monitor/2019/05/ce-corner-isolation
- Western Norway University of Applied Sciences et.a., Bergen, Norway: https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-020-02583-3
- To prevent depression walk 20 minutes a day. University of Toronto: https://www.utoronto.ca/news/prevent-depression-walk-20-minutes-day
- Jeder Dritte leidet psychisch im Homeoffice. Der Spiegel 09.11.2021: https://www.spiegel.de/wirtschaft/homeoffice-jeder-dritte-leidet-psychisch-a-46be4ae2-5bc0-403b-ad10-17a31c07d8a9
- Begrenzte Hybride Arbeit und bis zu zwei Tagen in der Woche im Homeoffice schadet nicht der Produktivität. Stanford University: https://news.stanford.edu/stories/2024/06/hybrid-work-is-a-win-win-win-for-companies-workers